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Die verschlungenen Wege des Stickstoffs

Stickstoff (N) durchläuft in der Umwelt verschiedene Umwandlungsprozesse. Die Landwirtschaft nutzt den Prozess der technischen und biologischen Stickstoff-Fixierung, um nicht-reaktiven Luftstickstoff (N2) reaktiv und damit für das pflanzliche Wachstum verfügbar zu machen. Über das Pflanzenwachstum wird mineralischer Stickstoff in Proteine und zusammen mit Kohlenstoff in Biomasse eingebaut, vor allem in Form von Eiweissen. Bei der Fütterung und tierischen Verdauung wird pflanzliches zu tierischem Eiweiss umgewandelt. Pflanzliches und tierisches Eiweiss haben in der menschlichen Ernährung eine grosse Bedeutung. Der organisch gebundene Stickstoff in abgestorbenen Pflanzenteilen und tierischen Exkrementen wird schliesslich über verschiedene Stufen wieder zu mineralischen Formen von Stickstoff abgebaut.

Mineralischer Stickstoff, der nicht in die landwirtschaftlichen Produkte, sondern in die Umwelt gelangt, kann sich negativ auf die Ökosysteme auswirken: In Form von Ammoniak (NH3) verändert er empfindliche Ökosysteme wie Moore und Wälder, in Form von Nitrat (NO3) belastet er das Grundwasser und die Meeresökosysteme, und in Form von Lachgas (N2O) trägt er zur Klimaerwärmung bei. Stickstoff kann daher die Umwelt auf lokaler, (über)regionaler und globaler Ebene beeinträchtigen. Ein Stickstoffatom kann unterschiedliche chemische Verbindungen eingehen, bevor es sich wieder in elementaren Luftstickstoff verwandelt und damit nicht mehr umweltwirksam ist.

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Die Landwirtschaft an den Schalthebeln der Stickstoffflüsse

Das BLW hat die Stickstoffflüsse in der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft für das Jahr 2005 quantifizieren und grafisch darstellen lassen (Reutimann et al. 2013). Dabei wird ersichtlich, dass Mineraldünger, importierte Futtermittel und biologisch fixierter Stickstoff mengenmässig die drei wichtigsten Stickstoffeinträge ins Schweizer System der Land- und Ernährungswirtschaft sind. Gemäss der aktuellen nationalen Stickstoffbilanz (vgl. Grafik zur zeitlichen Entwicklung der Stickstoffbilanz und -effizienz) hat der Stickstoffimport in Form von Futtermitteln mengenmässig denjenigen in Form von Mineraldünger inzwischen überholt. Die grössten Stickstoffflüsse finden jedoch innerhalb der Landwirtschaft statt, dies in Form von Futterpflanzen für die Tierhaltung und in Form von Hofdünger, der in den Pflanzenbau gelangt. Stickstoff verlässt das System der Land- und Ernährungswirtschaft hauptsächlich über menschliche Exkremente, welche in das Abwasser gelangen, über die Luft als Ammoniak, Lachgas und elementaren Stickstoff aus der Tierhaltung und aus den Böden, sowie über die Auswaschung aus den Böden als Nitrat. Die Stickstoffflüsse aus der Landwirtschaft in die menschliche Ernährung sind vergleichsweise klein.

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Das BAFU liess die voraussichtlichen Änderungen in den Stickstoffflüssen in der Schweiz anhand von Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung und zur Agrarpolitik 2014-2017 bis 2020 modellieren (Heldstab et al. 2013). Die Ergebnisse zeigen, dass eine markante Zunahme von Stickstoffimporten über Nahrungs- und Futtermittel zu erwarten ist. Die Zunahme des Nahrungsmittelimports ist auf den höheren Kalorienbedarf einer wachsenden Bevölkerung zurückzuführen. Die Zunahme des Bedarfs an importierten Futtermitteln gemäss der Studie auf die weiterhin steigende Milchleistung pro Tier zurück, welche die Auswirkungen der Aufhebung der Beiträge für Raufutterverzehrer in der Agrarpolitik 2014-2017 mehr als kompensiert. Auch die zunehmende Geflügelmast dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen. Der Import von Stickstoff über Mineraldünger wird gemäss der BAFU-Studie weiter zurückgehen, da der Stickstoffbedarf der Pflanzen über den aus den Futtermittelimporten zusätzlich anfallenden Hofdünger gedeckt werden kann. Weil der Hofdünger zunehmend mit emissionsarmer Ausbringtechnik verteilt wird, nehmen die gasförmigen Stickstoffverluste (Ammoniak, Lachgas, Stickoxide, elementarer Stickstoff) dennoch leicht ab. Eine stärkere Abnahme wäre möglich, wenn sämtliche weiteren, heute bekannten technischen und betrieblichen Massnahmen umgesetzt würden (IIASA 2015, IIASA 2011). Weil die NOx-Emissionen aus dem Verkehr wegen strengerer Abgasvorschriften weiter zurückgehen werden, reduziert sich auch die atmosphärische Stickstoffdeposition weiter.

Stickstoffverluste und Reduktionsziele: eine Herausforderung

Die Effizienz, also der N-Output welchen die Schweizer Landwirtschaft mit einer Einheit N-Input erzeugt, ist von 1990/92 mit 22 % bis 2012/14 mit 30 % kontinuierlich gestiegen: Die nationale Stickstoffbilanz zeigt, dass der Output an Stickstoff in Form von pflanzlichen und tierischen Produkten um 28 % zugenommen hat, obwohl die Stickstoffeinträge in Form von Mineraldünger, importierten Futtermitteln, biologischer Stickstofffixierung und atmosphärischer Deposition gesamthaft um 5 % abgenommen haben.

Obwohl ambitiös, erscheint das agrarpolitische Etappenziel einer Stickstoffeffizienz von 33% bis ins Jahr 2017 (vgl. Botschaft zur Agrarpolitik 2014-2017) im Bereich des Möglichen. Die Stickstoffverluste, welche in die Umwelt gelangen (N-Input minus N-Output), sind von 1990/92 mit 132 000 t N bis 1999/2001 mit 116 000 t N ebenfalls gesunken (-12 %). Seither konnten jedoch kaum mehr Fortschritte erzielt werden: 2012/14 betrugen die Stickstoffverluste gemäss den Berechnungen von Agroscope immer noch 113 000 t N. Das agrarpolitische Etappenziel für 2015 von maximal 95 000 Tonnen Stickstoffverlusten, welches in der Botschaft zur Agrarpolitik 2011 festgehalten und in der Botschaft zur Agrarpolitik 2014-2017 erneuert wurde, wird kaum erreicht.

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Daten zu Stickstoff- und anderen Agrarumweltindikatoren auf nationaler Ebene können unter Service heruntergeladen werden.

Wege zur Reduktion der Stickstoffverluste

Grundsätzlich hängt die Höhe der Stickstoffverluste einerseits von der Stickstoffintensität (also von der Menge des eingesetzten Stickstoffs) und andererseits von der Stickstoffeffizienz (also vom Umgang damit) ab. Eine Studie von Agroscope (vgl. Kasten weiter unten) zeigt, dass es in der Schweizer Landwirtschaft zwischen unterschiedlichen Betriebstypen, aber auch innerhalb eines gleichen Betriebstyps, eine grosse Heterogenität bezüglich der Intensität und Effizienz des Stickstoffeinsatzes gibt. Die Studie zeigt auch, dass sich die Stickstoffintensität, über alle Betriebstypen hinweg betrachtet, zwar positiv auf den Umsatz pro Hektare eines Betriebs auswirkt, aber letztlich keinen Einfluss auf den Arbeitsverdienst pro Familienjahresarbeitseinheit hat. Daraus lässt sich ableiten, dass mögliche Wege zur Reduktion der Stickstoffverluste einerseits über technologische Neu- und Weiterentwicklungen zur Effizienzsteigerung, und andererseits über die Steuerung der Intensität führen können:
 
Ansatz «Effizienz»: Um die Stickstoffverluste aus der Landwirtschaft effizient zu minimieren, wird mit Vorteil am Anfang der Verlustkette angesetzt. Je mehr des eingesetzten Stickstoffs in landwirtschaftliche Produkte verwandelt wird, desto besser für Landwirtschaft und Umwelt. Vielversprechende Ansätze sind in der Züchtung von Pflanzen und Tieren, die Stickstoff effizienter ausnützen können sowie in der Gestaltung der Pflanzen- und Tierernährung zu finden. Hier können die Aufnahme von Stickstoff durch Pflanzen und Tiere verbessert und Verluste in die Umwelt gesenkt werden. 

Ansatz «Intensität»: Ein weiterer wirkungsvoller Ansatz zur Reduktion der Stickstoffverluste liegt in der Anpassung der Intensität an das Potenzial und die ökologische Tragfähigkeit eines Standorts. Dies bedeutet unter anderem, Ackerflächen vermehrt für die direkte menschliche Ernährung zu verwenden und Tiere über nicht anderweitig nutzbares Grasland zu füttern. Damit sinkt zwar das Volumen an tierischen Produkten, was Konsequenzen für den Konsum und das Ernährungsmuster, nicht aber für die Ernährungssicherheit, hat: Eine Ernährung, welche tierisches zunehmend durch pflanzliches Protein ersetzt, erhöht die Effizienz des Ernährungssystems insgesamt, weil der verlustreiche Umweg über das Tier reduziert wird (Schader et al. 2015).

Welche betrieblichen Faktoren führen zu hohen Stickstoffüberschüssen?

Mit Hilfe von deskriptiver und multivariater Statistik hat Agroscope (Jan et al. 2013) die Daten der Zentralen Auswertung von Agrar-Umweltindikatoren (ZA-AUI) und der Zentralen Auswertung von Buchhaltungsdaten (ZA-BH) von ca. 200 Betrieben hinsichtlich der Bestimmungsfaktoren der betrieblichen Stickstoffüberschüsse analysiert. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie sind:

Auf einzelbetrieblicher Ebene spielen die Stickstoffintensität und die Stickstoffeffizienz eine ähnlich grosse Rolle bei der Entstehung der Stickstoffüberschüsse;

Eine höhere Stickstoffintensität führt tendenziell zu einer tieferen Stickstoffeffizienz;

Spezialisierte Betriebe weisen tiefere Stickstoffüberschüsse aus als nicht-spezialisierte (sogenannte «kombinierte») Betriebe. Insbesondere die Kombination mit Veredelungsaktivitäten erzeugt hohe Stickstoffüberschüsse. Grund dafür ist die hohe Stickstoffintensität und die tiefe Stickstoffeffizienz dieser Betriebe. In geringerem Ausmass trifft dies auch auf Verkehrsmilchbetriebe zu;

In den Tal- und Hügelregionen sind die Stickstoffüberschüsse etwa gleich hoch. In der Bergregion liegen sie deutlich tiefer;

Betriebe des biologischen Landbaus weisen tiefere Stickstoffüberschüsse aus als Betriebe, die den ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) erfüllen;

Betriebe mit einer grossen landwirtschaftlichen Nutzfläche weisen tendenziell eine etwas tiefere Stickstoffintensität und damit tiefere Stickstoffüberschüsse aus als Betriebe mit einer kleinen Fläche;

Die Stickstoffintensität wirkt sich positiv auf den Umsatz pro Hektare aus, sie hat jedoch keine Auswirkungen auf den Arbeitsverdienst pro Familienjahresarbeitseinheit.

Daten zu Stickstoff- und anderen Agrarumweltindikatoren auf betrieblicher Ebene können unter Service heruntergeladen werden.

Deutschland, das auf die Fläche bezogen ähnlich hohe Stickstoffverluste kennt wie die Schweiz (OECD 2013), möchte diese mit der aktuellen Überarbeitung des Düngerrechts senken. Die wichtigsten Elemente, die zurzeit in Deutschland diskutiert werden, sind: Schaffung von rechtlichen Grundlagen für die Einführung einer Hoftorbilanz, welche den N-Input und den N-Output auf Betriebsebene erfasst; Schaffung von rechtlichen Grundlagen für einen automatisierten Datenabgleich zwischen den verschiedenen Behörden; Übergangsfristen bis zur Einführung der Pflicht von emissionsarmen Ausbringtechniken; Beratungspflicht für Landwirte.

Fazit

Das agrarpolitische Etappenziel für 2015 für die maximalen Stickstoffverluste wird kaum erreicht.

Die Herausforderung der Reduktion der Stickstoffverluste ist vielschichtig. Weil reaktiver Stickstoff sehr mobil und wandelbar ist, sind Ansätze, welche den Einsatz von Stickstoff – sei es als Futtermittel oder als Dünger – reduzieren, besonders wirksam und effizient. Hat der Stickstoff den Weg durch die Emissionskaskade einmal angetreten, ist es vergleichsweise aufwändig, die verschiedenen Verlustpfade zu kontrollieren.

Es ist zu erwarten, dass die Agrarpolitik 2014-2017 zu tieferen Stickstoffverlusten aus der Schweizer Landwirtschaft führen wird. Dennoch sind weitere und grosse Anstrengungen im Bereich der technologischen und betrieblichen Innovation zur Steigerung der Effizienz notwendig, um die Ziele zu erreichen. Wo dies nicht ausreicht, braucht es eine Anpassung der Produktionsintensität an die Tragfähigkeit der Ökosysteme. Um weitere Fortschritte bei der Senkung der Stickstoffverluste zu erzielen, sind alle Akteure gefordert: die Landwirte und die Konsumenten, die Politik und die privaten Unternehmen, die Forschung und die Beratung.

Literatur

Heldstab J, Leippert F, Biedermann R, Schwank O (2013) Stickstoffflüsse in der Schweiz 2020. Stoffflussanalyse und Entwicklungen. Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Wissen Nr. 1309: 107 S.

IIASA (2011) CIAM Report 4/2011, An Updated Set of Scenarios of Cost-effective Emission Reductions for the Revision of the Gothenburg Protocol

IIASA (2015) Scenarios for further improvements of air quality in Switzerland. FOEN, Bern, 84 S.

Jan P, Calabrese C, Lips M (2013) Bestimmungsfaktoren des Stickstoff-Überschusses auf Betriebsebene. Teil 1: Analyse auf gesamtbetrieblicher Ebene. Abschlussbericht zuhanden des Bundesamts für Landwirtschaft. Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, Ettenhausen

Reutimann J, Heldstab J, Leippert F (2013) Stickstoff in der Land- & Ernährungswirtschaft: Stickstoffflüsse, Verluste und Reduktionspotentiale, INFRAS, Zürich

Schader C, Müller A, El-Hage Scialabba N, Hecht J, Isensee A, Erb K-H, Smith P, Makkar H P S, Klocke P, Leiber F,
Schwegler P, Stolze M, Niggli U (2015) Impacts of feeding less food-competing feedstuffs to livestock on global food system sustainability. Journal of the Royal Society, Interface 12: 20150891

Sutton M A, Howard C M, Erisman J W, Billen G, Bleeker A, Grennfelt P, van Grinsven H, Grizzetti B (2011) European Nitrogen Assessment. Sources, Effects and Policy Perspectives. European Commission Joint Research Centre

Christine Zundel, BLW, Fachbereich Agrarumweltsysteme und Nährstoffe, christine.zundel@blw.admin.ch